In sieben Kurzgesprächen gegen die Selbstbestimmungsinitiative

Ortspartei Kreis 9

Für punktuelle Probleme braucht es punktuelle Lösungen – keinen radikalen Bruch: Moritz Falck, Vizepräsident der FDP-Ortspartei im Stadtzürcher Kreis 9,  kommt in sieben Kurzgesprächen zum Schluss, dass die Selbstbestimmungsinitiative (SBI) der falsche Lösungsansatz ist.
  1. Internationale Verpflichtungen schwächen unsere direkte Demokratie. Das Volk hat keine Mitsprache und wird einfach übergangen. Warum also sollte die Selbstbestimmungs-initiative (SBI) nicht den Volkswillen «wiederherstellen»?

 

Nun, weil der Volkswillen immer Dreh- und Angelpunkt unseres politischen Handelns war und es auch bleiben soll. Die internationalen Mitgliedschaften und Staatsverträge wurden der Schweiz ja nicht irgendwie «auferlegt». In allen weittragenden Entscheidungen hatte das Volk mit dem obligatorischen oder fakultativen Referendum das letzte Wort. So entschied es sich etwa für einen Beitritt zur UNO und zur OECD oder für die Bilateralen, aber auch gegen den Beitritt zur heutigen EU.

 

  1. Mag sein, doch können sich die Umstände ja ändern. Die EU hat sich gewandelt und ihre «Rechtsdiktate» greifen immer mehr in unseren Rechtstaat ein. Das wollen wir nicht länger akzeptieren. Darum müssen wir uns das Recht wieder erkämpfen, selber über unsere Angelegenheiten zu entscheiden!

 

Ein solches Recht ist doch nie verloren gegangen. Das Volk hat mit der Initiative, respektive mit dem Referendum, nach wie vor potente Mittel, um sich gegen eine empfundene Bevormundung durch das Ausland zu wehren. Wenn das Volk beispielsweise mit einem Staatvertrag unzufrieden ist, so kann es eine Kündigungsintiative lancieren. Man mag argumentieren, dass solche Initiativen teuer und zeitintensiv sind, doch käme das eher einer Selbstbemitleidung gleich. Die Hürden für das Zustandekommen von Initiativen – wenn denn der «Leidensdruck» wirklich so hoch ist – stellen wirklich keine finanzielle oder organisatorische Unmöglichkeit dar. Dafür spricht auch die hohe Zahl an Intiativen, über die wir in den letzten 20 Jahren abgestimmt haben. Problematisch ist da eher, dass gewisse Interessensgruppen die Initiative zusehends für reine politische Mobilisation missbrauchen.  

 

  1. Das ist alles Augenwischerei. Das Volk hat zu entscheiden. Alles andere ist absolut undemokratisch!

 

Stimmt doch nicht! Demokratie funktioniert schliesslich über Machtdelegation. Deswegen wählen wir ja überhaupt Parteien, Politiker und Richter; weil wir nicht zu jedem Sachverhalt eine Volksversammlung mit mehreren Millionen Menschen und Meinungen einberufen können. Im kleineren Rahmen mag das möglich, wie etwa bei den Landsgemeinden, doch für jeden grösseren Staatskörper ist das nicht praktikabel. Oder würden Sie für jedes der im letzten Jahr diskutierten Parlamentsgeschäfte – im Kanton Zürich waren es insgesamt weit über 1’000 – von ihrem Arbeitsplatz weggehen, um dazu im Rathaus zu diskutieren? Die politischen Institutionen sind dem Volk Rechenschaft schuldig, natürlich. Gleichwohl müssen diese Institutionen auch nach bestem Wissen und Gewissen den politischen Betrieb sicherstellen, ohne zu jedem Diskussionpunkt eine Absegnung vom Elektorat einholen zu müssen.   

 

  1. Das hat doch mit der Sache nichts zu tun. Wieso sollen Ausländer über uns Recht sprechen dürfen? Die Schweiz braucht keine internationale «Obrigkeit», die ihr etwas vorschreibt!

 

Jeder Staat, der sich einer «Organisation» anschliesst, muss sich naturgemäss an die Bestimmungen und Richtlinien ebendieser Organisation halten. Das ist im Privaten, in der Wirtschaft oder beim Sportverein auch nicht anders. Dass sich die Schweiz für die Vorteile eines offenen Marktes, Zugang zu internationaler Forschungsinfrastruktur, einer Teilhabe am globalen Handels- und Friedensprozess oder für die grenzüberschreitende Polizeikooperation an vereinbarte Spielregeln halten muss, kann ja kaum verwundern. 

 

  1. Das Ausland hebelt doch letztlich nur unsere direkte Demokratie aus, wenn sie Direktiven beschliesst oder Urteile fällt, welch direkt den Schweizerischen Volksentscheiden widersprechen. Das Volk steht doch an oberster Stelle?!

 

Falsch, an oberster Stelle steht der Rechtsstaat. Wenn «nur» ein Volksentscheid die Massgabe für staatliches Handeln wäre, so könnten 51% der Bevölkerung jeweils immer den anderen 49% diktieren was rechtmässig ist. Mit Demokratie hat das nichts zu tun, sondern eher mit der Tyrannei der Mehrheit. Hierfür gibt es auch leider einschlägige historische Erfahrungswerte. Ein besonders schreckliches Beispiel sind etwa die Nürnberger Rassengesetze, die objektiv verachtenswert waren, aber trotzdem über den damals «geltenden» Parlamentsweg rechtskräftig wurden.

 

Der Rechtsstaat zeichnet sich eben dadurch aus, dass er zwar aus dem Volk und dessen Willen hervorgeht, aber zugleich dasselbe Volk unter die Prinzipien und Gebote stellt, welche es selber festgelegt hat. Deswegen kann eben nicht ein einzelner Volksentscheid einfach so die Rechtssprechung der letzten 50 Jahre relativieren oder frühere Volksentscheide, beispielsweise zu internationalen Verpflichtungen, einfach für «überholt» erklären. Letztlich schützen uns vor dem Missbrauch staatlicher Gewalt auch die Universalprinzipien einer Menschenrechtskonvention.  

 

  1. Davon spricht doch niemand. Es geht weder um die Kündigung von Verträgen, noch um die Aushebelung der Verfassung. Wir wollen Rechtssicherheit haben, darum müssen die Grundlagen geändert werden.

 

Das ist eben der springende Punkt. Mit der SBI wird ein Automatismus in unserer Verfassung verankert, der Bundesrecht vor Völkerrecht und den internationalen Verpflichtungen der Schweiz stellt –  vollkommen unbesehen der inneren oder äusseren Umstände. Das kreiert eben genau das Gegenteil von Rechtsicherheit, nämlich Rechtsunsicherheit! Die Gerichte haben in ihrer jahrzehntelangen Praxis stehts Bundesrecht und internationales Recht in ihren Abwägungen gleichberechtigt behandelt, nämlich auf Grundlage des Artikel 190 unserer Bundesverfassung. Wenn nun ein starrer Automatismus eingeführt würde, wäre dieser ganze Rechtskörper infrage gestellt.

 

Das ist nicht einfach eine akademische Diskussion. Nehmen wir etwa eine Industriefirma, die ihre gesamte Produktion und Logistik auf Basis des Cassis-de-Dijon-Prinzips und den bestehenden handelsrechtlichen Rahmenbedingungen mit der EU eingerichtet hat. Nun wird die SBI angenommen und die Schweiz beschliesst abweichende handelsrechtliche Bestimmungen. Was soll diese Firma tun, wenn sie nun nicht mehr mit der bestehenden Infrastruktur wirtschaften kann? Wer würde für den Schaden einstehen, die Schweiz etwa? Und wer übernimmt die Verantwortung für die Mitarbeiter, deren Arbeitsplatz gefährdet ist? Zu all diesen Fragen liefert die SBI keine Antworten, sondern verweist auf eine nebulöse Predigerfloskel: «Das kommt dann schon gut».

 

  1. Eine reine Mutmassung, die du da äusserst. Fakt ist: Der Konflikt zwischen direkter Demokratie und internationalem Recht verschärft sich! Hier muss eine Rangordnung her, die eben klar festlegt, was im Zweifelsfall gilt. Wir müssen unsere Interessen durchsetzen können, schliesslich sind wir als Schweizerische Gesellschaft uns selbst verpflicht.

 

Der Konflikt zwischen staatlichem und internationalem Recht nimmt in der Tat zu. Dies gilt für jeden Staat, nicht nur für die Schweiz. Das ist zweifelsohne eine Herausforderung, doch lassen sich internationale Vernetzheit und absolute Selbstbehauptung eben nicht ohne Weiteres verbinden – zumindest nicht ohne einen Interessensausgleich.

Die gleiche Logik, um auf dein zweites Argument einzugehen, gilt im Übrigen auch auf Stufe Nation. Unsere Kantone sind alle souverän, ausser dort, wo der Bund die Kompetenz innehat. Die einzelnen Kantone können nicht einfach ihre eigenen Interessen durchdrücken. Sie sind eben Teil jenes «Clubs», der Schweizerische Eidgenossenschaft heisst und müssen sich sodann an die Vorgaben derselben halten. Der Kanton Zug wettert seit Jahren gegen zu hohe Transferzahlungen für den Finanzausgleich, muss diese aber gemäss Bundesgesetz dennoch bezahlen. Nach der engen Logik der Initiativ-befürworter müsste nun Zug seine Interessen zwingend durchsetzen können. Das ginge in absoluter Manier aber auch nur, wenn der Kanton aus der Eidgenossenschaft austreten würde. Ein höchst schädliches Unterfangen. Dort wo es einen Konflikt zwischen zwei Interessen gibt, braucht es eben eine Aussprache und ein Besinnen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Das war früher auf dem schulischen Pausenhof auch so.

Nach genau dieser Überlegung müssen auch Staaten entscheiden, ob sie Teil der internationalen Institutionen sein möchten, mit den Vorteilen, aber sicher auch den Auflagen, welche eine solche Mitgliedschaft mit sich bringt, oder aber auf ihre unantastbare Rechtshoheit pochen, aber dafür eine mögliche Isolation in Kauf nehmen müssen. Das eine geht nicht ohne das andere. Jene Brexit-Romantik, die angeblich Weltoffenheit ohne Verpflichtungen und gleichzeitig absolute, nationale Souveränität unter einen Hut bringen soll, gibt es nicht. Das zeigen die britischen Austritts-verhandlungen deutlich. Die Schweiz profitiert als offene Volkswirtschaft immens vom Austausch mit dem Ausland. Dass dieser Austausch nicht immer einfach ist, bleibt unbestritten. Doch für punktuelle Probleme braucht es punktuelle Lösungen – keinen radikalen Bruch. Darum NEIN zur Selbstbestimmungsinitiative.   


 

Moritz Falck